Menschenrechtsbeschwerde

 

Mit Datum vom 21.02.2007 reichten wir in unserem Namen und im Namen M.s Menschenrechtsbeschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein wegen Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention EMRK

–          Artikel 8 (Recht auf Familienleben) 

–          Artikel 6 (faires Verfahren)

–          Artikel 13 (Recht auf Beschwerde)

–          Artikel 14 (Gleichbehandlung ohne Unterschied des Status)

Der Eingang der Beschwerde wurde uns aus Straßburg bereits am 19.03.2007 bestätigt.

Nach dem Treffen mit M. im Jugendamt am 13.03.2007 bat uns die Sachbearbeiterin zum Gespräch. Sie teilte mit, dass es ein Hilfeplangespräch gegeben habe, von dem wir in den nächsten Wochen ein Protokoll zur Kenntnis erhalten würden. Im Hilfeplan habe man über M.s Entwicklung, ihre Ressourcen und ihre Gesundheit gesprochen. Es sei besprochen worden, welchen Fachspezialisten sie wann vorzustellen sei und dass wir weiterhin einmal monatlich Umgang haben würden, nur nicht mehr in den uns bekannten Räumen, sondern an anderer Stelle.

Auf die Frage, welche Maßnahmen besprochen wurden, die darauf abzielen, unsere Erziehungsfähigkeit festzustellen oder ggf. wiederherzustellen, um eine Rückführung M.s einzuleiten, wurde uns gesagt, dass nach ihrer Erinnerung nichts Derartiges besprochen wurde. Wir fragten, ob zukünftig vorgesehen ist, dass wir persönlich an Hilfeplangesprächen teilnehmen und erhielten die Antwort, dass wir auch zukünftig nicht bei Hilfeplangesprächen anwesend sein sollen.

Uns wurde mitgeteilt, dass nun zwei neue Mitarbeiter hinzugekommen sind, weil M. ab dem 01.02.07 offiziell als Sonder-Dauerpflegekind bei der Pflegefamilie lebt, bei der sie auch in Bereitschaftspflege war.  

Sonderpflegekind sei M. wegen eines erhöhten Pflege- und Betreuungsaufwands. Häufig müsse M. Ärzten oder anderen Fachleuten vorgestellt werden, sie bekomme 5 Fläschchenmahlzeiten und wegen ihrer Essprobleme könne sie noch nicht alles essen, was Kinder in ihrem Alter sonst essen.

Weil Telefonate mit den Pflegeeltern in Dauerpflege nicht üblich seien und außerdem von der Pflegemutter auch als belastend empfunden würden, habe man entschieden, dass die einmal monatlichen Telefonate (Informationen zu M.s Entwicklung und Gesundheit) zwischen uns und der Pflegemutter ganz entfallen. Grund sei der Umstand, dass wir sehr viele, sehr detaillierte Fragen stellen.

Wir könnten uns gern mit allen Fragen an die Fallzuständigen im Jugendamt wenden und würden dort auch zukünftig erfahren, wie es M. geht. Wir erklärten, dass wir detaillierte Fragen stellen müssen, weil M. nicht bei uns lebt, wir bei nur einem einstündigen Umgang kein komplettes Bild über M.s Gesundheit und Entwicklung bekommen können und darauf bestehen, alles zu erfahren, was M. angeht. Daher ist es uns auch nicht möglich, zukünftig weniger Fragen zu stellen, denn nur wenn wir über alles gründlich informiert sind, können wir M. helfen. Die Sachbearbeiterin sagte zu, dass wir auch weiterhin viele, detaillierte Fragen stellen können.

Eine dieser Fragen, die offenbar als nicht nachvollziehbar angesehen werden, ist die Frage nach der Färbung von M.s Zähnen. Bis jetzt wurde nicht untersucht, ob M. an der Glasknochenkrankheit leidet, daher sind wir darauf angewiesen, darauf zu achten, ob weitere äußerliche Anzeichen neben M.s bläulichen Skleren auf das Vorhandensein einer Glasknochenkrankheit hinweisen. Eines dieser Merkmale kann eine Bläulichfärbung der Zähne sein, die man Dentinogenesis Imperfecta nennt. Also ist die Frage nach der Färbung der Zähne in diesem Falle ganz und gar nicht eigenartig, sondern legitim und eine Beantwortung ist sehr wichtig.

Unsere Sachbearbeiterin, die M. damals auch in Obhut genommen hat, erklärte uns, dass sie bis 2009 für uns zuständig sein wird und als Koordinatorin fungiere. Ab 2009 würden dann die beiden neuen Mitarbeiter für uns zuständig sein.

Anfang April 2007 erhielten wir das Hilfeplanprotokoll vom 08.03.2007.

Dieses Hilfeplanprotokoll zeigt nochmals, dass es kein Bestreben gibt, M. ihre Eltern und ihre Herkunftsfamilie zu erhalten. Eine Dauerpflege ist zeitlich zwar nicht begrenzt, aber sie ist durch den Umstand begrenzt, dass Eltern in ihrer Erziehungsfähigkeit zu fördern sind und dabei das Ziel die Rückführung des Kindes ist, mit der das Pflegeverhältnis endet. Für die Zeit der Fremdunterbringung hat der Gesetzgeber vorgegeben, dass die Eltern-Kind-Bindung zwischen den leiblichen Eltern und ihrem Kind weiterhin von zentraler Bedeutung und daher auch zu fördern ist – selbst, wenn die Fallzuständigen der irrigen Ansicht sein würden, eine Rückführung würde nicht in Frage kommen, sind sie durch das Gesetz dazu verpflichtet, die Bindung zwischen Eltern und Kind zu fördern.

In der Zeit, als M. noch nicht robben, krabbeln oder laufen konnte, haben wir selbstverständlich die meiste Zeit des Umganges direkt bei ihr gesessen und auch viel mit ihr gemeinsam gespielt. Als sie das Robben und Krabbeln begann, waren wir im Umgang immer in ihrer Nähe, haben sie aber auch drauflos krabbeln lassen, ohne ihr immer an den Fersen zu kleben. Als sie laufen konnte, liefen wir selbstverständlich nicht permanent hinter ihr her, sondern hatten aus einigen Metern Entfernung ein Auge auf sie, wobei wir natürlich auch manchmal zu ihr gehen, um auf sie aufzupassen oder einfach, um mit ihr gemeinsam zu spielen. Unser elterliches Verhalten passt sich den Bedürfnissen M.s an und es ist durchgängig zu beobachten, dass M. viel von sich aus zu uns kommt und mit uns im Kontakt ist (z. B. spricht sie uns viel nach, nimmt Spielideen auf und variiert sie…). Es geht für uns nicht um Distanz, sondern um Freiraum, den M. für ihre gute Entwicklung braucht, genauso, wie sie Nähe und Herzenswärme zu ihrer guten Entwicklung braucht.

Dass unser Verhalten, M. in den Umgängen Nähe und gleichzeitig Freiraum zu bieten missinterpretiert wird, zeigt uns, wie unwichtig man die gute Bindung zwischen M. und uns findet und dass unter den sozialen Ressourcen nur die Pflegefamilie genannt wird, zeigt die Überbetonung der Pflegefamilie, die uns nach Vorstellung der Fallzuständigen im Jugendamt fortan komplett ersetzen soll und dass diese „Neubeelterung“ als Dauerlösung gesehen wird, entnehmen wir dem Umstand, dass unsere Sachbearbeiterin sich bereits Gedanken über ihre Zuständigkeit im Jahre 2009 macht. 

Dieses Desinteresse der Fallzuständigen im Jugendamt an unserer aktiven Teilnahme an M.s Leben wurde noch deutlicher für uns spürbar, als wir einen Antwortbrief auf unser letztes Schreiben ans Jugendamt erhielten. Wir hatten einige Fragen zu M.s Entwicklung, Gewohnheiten und Gesundheit gestellt und wir schrieben den Brief kurz nach dem Umgang. Darauf erhielten wir die Antwort, dass wir M. doch gerade vor Kurzem gesehen haben und wir könnten „…nicht ernsthaft erwarten, dass sich innerhalb von 2 – 3 Wochen wesentliche Veränderungen ergeben haben…“ und uns wird mitgeteilt, dass wir in den Umgängen die Gelegenheit haben, uns ein Bild über M.s Entwicklung zu machen.

Ganz vergessen ist das Versprechen, man werde uns jederzeit alle Fragen beantworten. Statt dessen sollen wir, nach dem Inhalt dieses Briefes zu urteilen, zukünftig innerhalb von einem einstündigen Umgang im Monat im Jugendamt anhand bloßer Beobachtungen erkennen, welche Entwicklungen sich zwischen den Umgängen ergeben haben und wenn es gut läuft, erzählt man uns noch ein wenig über M., während wir mit ihr zusammen sind und eigentlich die Zeit ganz und gar ihr widmen wollen.

Aus dem Hilfeplanprotokoll, sowie aus der letzten Korrespondenz haben sich neue Fragen ergeben (Warum muss M. so häufig zum Augenarzt? Was unterscheidet M.s Bewegungsdrang von dem anderer gleichaltriger Kinder? …). Außerdem ist uns wichtig, dass der Umgang zwischen M. und uns zukünftig deutlich intensiviert wird, denn auf eine intensive Bindung hat M. Anspruch und zur Bindungspflege gehört auch die Möglichkeit des Zusammenlebens. Ist das Zusammenleben zeitweilig nicht möglich, muss die Bindung über engmaschigen Umgang erhalten werden, bis das Zusammenleben von Eltern und Kind wieder möglich ist.

Die konsequente Verweigerung zu intensivem Informationsaustausch scheint ebenso unter dem Gesichtspunkt der Bindungserschwernis zu stehen. Wir haben den Eindruck, dass es darum geht, uns möglichst wenig oder besser gar nicht über M. zu informieren, damit wir uns nicht „einmischen“ können. Wir sind der Meinung, dass es gar nicht genug Austausch mit uns geben kann, denn wir wollen M. als ihre Eltern begleiten und unterstützen. 

Mit Datum vom 02. September 2010 erhielten wir Nachricht vom EGMR. Was wir lasen, war für uns unfassbar: unsere Beschwerde wurde in einer Einzelrichterentscheidung abgelehnt. In dem Einseiter – offensichtlich einem Standardbrief – heißt es:

„Soweit die Beschwerdepunkte in seine Zuständigkeit fallen, ist der Gerichtshof aufgrund aller zur Verfügung stehenden Unterlagen zur Auffassung gelangt, dass die Beschwerde keinen Anschein einer Verletzung der in der Konvention oder ihren Zusatzprotokollen garantierten Rechte und Freiheiten erkennen lässt.“

Dies schrieb der EGMR, obwohl das in unserem Fall geschehene und nachgewiesene Unrecht für jedermann deutlich zu erkennen ist. Außerdem hielten wir den EGMR regelmäßig auf dem Laufenden, so dass bekannt war, dass das Unrecht nicht etwa mit Beschwerde beendet war, sondern immer weiter fortgesetzt wurde. 

Es ist anzunehmen, dass unser Fall einfach so schnell wie möglich zuende gebracht werden sollte, weil der EGMR die Flut der vielen Fälle nicht mehr bewältigen kann. Das sieht man an den weiteren Ausführungen im Brief des EGMR:

„…Sie werden daher Verständnis haben, dass die Kanzlei Ihnen keine weiteren Auskünfte über die Beschlussfassung des Einzelrichters geben und auch keinen weiteren Schriftverkehr mit Ihnen in dieser Angelegenheit führen kann. (…) … und die Beschwerdeakte wird ein Jahr nach Datum dieser Entscheidung vernichtet werden.“

Es ist unglaublich: das offensichtliche Unrecht, das uns widerfahren ist, wird selbst auf Europaebene nicht beendet, weil es die Flut an Fällen nicht mehr erlaubt, sich mit jedem Fall ausgiebig zu befassen.

Unser Kind und seine Familie – das ist doch nicht nur ein Fall, es geht um ein Kind, das seiner Eltern beraubt in der Fremde leben muss und dessen Eltern nichts unternehmen können, um ihrem Kind zu helfen, weil es bislang selbst auf Europaebene niemanden zu geben scheint, der gegen das Unrecht aufbegehrt, das von den fallzuständigen Mitarbeitern im Jugendamt und von den zuständigen Richtern eingeleitet und aufrecht erhalten wurde und das bis heute anhält.