Erwachsenenadoption ist der falsche Weg
Erwachsenenadoption ist der falsche Weg
Fachkräfte in der Jugendhilfe und Pflegeeltern, die diese Homepage lesen, möchten wir sagen: Keine Pflegefamilie – und sei sie noch so liebevoll und wohlmeinend – kann die leibliche Familie ersetzen. Ziel aller Konzepte muss daher ein reflektierter Umgang mit der Beziehung des Kindes zu seiner leiblichen Familie sein.
Der Gesetzgeber sieht nicht vor, dass Kinder ihre Familie verlieren, wenn sie zu Pflegefamilien kommen. Es gibt nicht umsonst z. B. das Wunsch- und Wahlrecht leiblicher Eltern, die Pflicht zur Beratung oder das Recht auf Umgang. Auch ist nicht umsonst die Vorgabe, regelmäßig zu prüfen, ob Kinder zu ihren Eltern zurückkehren können. Inobhutnahmen sind auch nicht das erste Mittel der Wahl, sondern das allerletzte Mittel, es gibt ein breites Spektrum an Hilfemaßnahmen die milder sind und die daher Vorrang haben. Die gesetzlichen Vorgaben entsprechen einem Modell, das leibliche Eltern ergänzt und nicht ersetzt, wie es aber vorwiegend gehandhabt wird.
Eine Adoption im Anschluss einer Pflegschaft halten wir nicht für ein Zeichen erfolgreicher Integration des Kindes in der Pflegefamilie sondern als ein Zeichen dafür, dass die Fachkräfte im Jugendamt die leibliche Familie so massiv aus dem leben des Kindes ausgegrenzt haben, dass bis zum Erwachsenenleben des Kindes die Frage entsteht: es bestehen kaum noch Bande zur leiblichen Familie, wo kann das Kind im Anschluss an die Pflegschaft bleiben und wer unterstützt und begleitet es in der Zeit seiner Ausbildung?
Da das Jugendamt selbst die Bindung in die leibliche Familie nach Leibeskräften unterbindet bezieht es sich allein auf das von ihm selbst künstlich hergestellte „Familienverhältnis“: auf die Pflegefamilie.
Aber wozu Adoption? Das Kind hat ja dann immer noch eine leibliche Familie – auch im Erwachsenenalter. Warum nicht dem Kind helfen, dorthin Kontakte zu knüpfen? Warum nicht der Pflegefamilie und dem Kind Wege aufzeigen, wie es gemeinsam mit der ehemaligen Pflegefamilie weiter gehen kann und wie die leibliche Familie einbezogen werden kann?
Ein Kind ist kein Objekt, das man hier herausnehmen und da hinstecken und glauben kann, der ursprüngliche Lebensmittelpunkt würde zukünftig keine Rolle mehr spielen. Ein Kind ist ein Mensch mit Gefühlen und ein Individuum. Zu ihm gehören auch seine Wurzeln. Diese nicht anzuerkennen heißt, einen Teil des Kindes selbst nicht anzuerkennen.
Ist Ihnen bewusst, wie bereits die Sprache dazu verleitet, eine bestimmte Haltung zu entwickeln und diese auch aufs Pflegekind zu übertragen? Es sind zutiefst menschenverachtende Worte und Redewendungen, die im Pflegekinderwesen und auch im Kindschaftsrecht täglich benutzt werden, ohne zu überlegen, was sie anrichten.
Liebe Pflegemütter, angenommen Sie haben leibliche Kinder und man würde Sie als Bauchmama bezeichnen, weil Sie sie geboren haben? Genau genommen wäre jede Frau, die ein Kind auf die Welt bringt, demnach eine Bauchmama. Tatsächlich wird dieser Begriff aber verwendet, um eine Unterscheidung zwischen sich und „der anderen Mama“ zu treffen. Aber ist die „andere Mama“ wirklich nur der Leib, in dem das Kind bis zur Geburt war? Sind wir entsorgten Mütter tatsächlich nur Mutter-Leiber? Was sind denn dann die Väter in Unterscheidung zum Pflegevater – Samen-Spender? Ist es Zufall, wenn sich Pflegeeltern selbst als Herzeltern beschreiben, obwohl sie wissen müssen, dass auch die entsorgten Eltern ein Herz haben, das fühlt und dass sie ihr Kind aufrichtig lieben? Selbst wenn diese Unterscheidung nicht getroffen wird, ist sehr auffällig, dass Pflegeeltern überall nur „Eltern“ genannt werden, während man uns nicht mehr nur einfach Eltern nennt, sondern leibliche- oder Herkunftseltern.
Kämen Sie als Pflegeeltern oder Fachkräfte auf die Idee, das Zusammensein mit ihren Kindern „Umgang“ oder „Besuchskontakt“ zu nennen? Es ist doch offensichtlich, dass bereits diese kalten Begriffe dafür sorgen sollen, dass klar ist, dass es nicht um Bindung und Liebe gehen soll.
Ein weiteres Problem haben wir mit der Formulierung ein Kind „herausgeben“. Man kann Sachen herausgeben, aber nicht Kinder, sie sind Menschen und das hat sich unserer Meinung nach auch in der Formulierung widerzuspiegeln.
Wir möchten Sie bitten, Ihr Menschenbild und Ihr Vorgehen zu reflektieren vergegenwärtigen Sie sich bitte, dass sowohl die Kinder als auch ihre Eltern und alle anderen Verwandten der Kinder Menschen sind – genau wie Sie.
Denken Sie bitte immer daran: mit dem Pflegekind haben Sie nicht nur ein Kind bei sich aufgenommen, sondern gleichwohl einen Teil einer anderen Familie. Ein Kind so ganz ohne seine Familie aufzunehmen bedeutet, einen Teil des Kindes nie ganz zu akzeptieren. Und wenn Sie Ihr Pflegekind wirklich und aufrichtig lieben, gehört dazu, es ganz zu akzeptieren und zu akzeptieren, dass es Andere gibt, die Ihr Pflegekind von ganzem Herzen lieben.
In einer Familie akzeptieren Eltern, dass das Kind nicht allein nur sie liebhat und sich an sie wendet, sondern auch andere Verwandte eine wichtige Rolle im Leben des Kindes spielen. Würden Eltern das nicht akzeptieren, würde man sie zu Recht dafür kritisieren, ihr Kind zu massiv an sich zu binden. Bei Pflegekindern wird das offenbar anders gesehen. Sie sollen sich ganz allein nur den Pflegeeltern zugehörig fühlen und nur die Menschen außerdem lieben dürfen, die die Pflegeeltern ihnen „gestatten“. Wenn sie es wagen, unabhängig davon zum Beispiel ihren Papa und ihre Mama auch lieb zu haben, wird das überhaupt nicht gern gesehen. Die Pflegekinder müssen zumindest nach außen immer wieder beweisen, dass ihnen ihre leibliche Familie am Schnürsenkel vorbeiginge.
Wenn aber Kinder sich dazu verpflichtet fühlen, ihre Liebe allein auf ihnen vorgegebene Menschen zu fixieren und ihre Zuneigung zu verbergen oder gar zu unterdrücken, die sie für die leibliche Familie empfinden, wie soll dann Persönlichkeitsentwicklung, Identitätsfindung und Selbstwertgefühl aufkommen, wenn sie sich gegen diejenigen richten sollen, die zum Leben der Kinder gehören?
Und welches Verständnis von Familie, Liebe und Bindung soll das Pflegekind für seine eigene Zukunft als selbst Elternteil entwickeln? Du bist jederzeit austauschbar und wenn Du ein Kind bekommst, bist Du deswegen noch lange nicht Mutter oder Vater des Kindes?
Es gibt einen Aspekt, der wohl nicht oft überdacht wird. Fachkräfte im Jugendamt, Gutachter, Richter und Pflegeeltern haben Macht. Sie entscheiden darüber, ob ein Kind Pflegekind wird und wie es mit ihm weitergeht. Sie entscheiden auch darüber, wie es mit der leiblichen Familie weitergeht. Sollten sie leibliche Eltern als störend empfinden, gibt es genügend Möglichkeiten, sie so auszugrenzen, dass sie sich der „Übermacht“ beugen müssen, wenn sie den Kontakt zu ihrem Kind nicht vollkommen verlieren wollen.
Ist Ihnen diese Macht bewusst? Denken Sie manchmal darüber nach, was eine von Ihnen getroffene Entscheidung oder durchgeführte Maßnahme für die Seele der Betroffenen Menschen bedeutet?
Wir laden Sie auf eine kleine Gedankenreise ein: Stellen Sie sich vor, Sie hätten ein Kind und das lieben Sie von ganzem Herzen. Es wird zu Unrecht von Ihnen getrennt und Sie gehen durch wirklich alle gerichtlichen Instanzen, schlucken eine Kröte nach der Anderen, müssen sich demütigen lassen, leiden unter der Trennung von Ihrem Kind und versuchen, aus jedem kleinen Moment, der Ihnen mit Ihrem Kind gelassen wird, das Beste zu machen was möglich ist. Jeden Tag hoffen Sie auf die Zeit, wo Ihr Kind erwachsen ist sich ein eigenes Bild machen kann und ohne Vorgaben von außen mit Ihnen zusammen sein kann und diese Hoffnung stirbt mit dem Moment, wo Ihr Kind von den Pflegeeltern, die es entfremdet haben, auch noch adoptiert wird. Sie hören jahrelang nichts von Ihrem Kind, vielleicht nie wieder, hoffen jeden Tag, dass es ihm gut geht, vermissen Ihr Kind. Spüren Sie diesem Gedanken nach und überlegen Sie für einen Moment, wie es Ihnen gehen würden, wenn Sie in dieser Situation wären. Wie würden Sie sich fühlen und was glauben Sie: wie würde sich das inzwischen adoptierte Kind auf Dauer damit fühlen, wenn es annehmen muss, dass es die Adoptiveltern übelnehmen würden, wenn es den Kontakt zur leiblichen Familie suchen würde und es wagen würde, sich in beiden Familien zuhause zu fühlen?