Ausgetauschte Eltern

In der Schwangerschaft hörte ich und las ich, wie unendlich wichtig die Liebe der Eltern für ein Kind ist. Elternliebe hat ihre eigene Magie, sie ist einfach da oder wenn sie nicht gleich da ist, wächst sie innerhalb weniger Tage. Es heißt, die Elternliebe sei der Grundstein für ein künftig positives Selbstbild des Kindes.

Auch wir lieben unser Kind sehr. Unsere Tochter gehört zu den Menschen, die von sich sagen können, dass sie Wunschkinder sind.

Während eines Krampfanfalles unserer Tochter wurden wir im Krankenhaus vor die Tür geschickt und lauter Ärzte und Schwestern haben unser Kind behandelt. Eltern, deren Kind in einer schweren gesundheitlichen Krise war oder ist, kennen das Gefühl, das wir hatten. Wir dachten: gleich holen sie uns und sagen, dass unserem Kind nicht mehr geholfen werden konnte… Diese Angst und die Dankbarkeit, als man uns in den Raum zurückholte und unsere Kleine lebte – diese Gefühle unterscheiden sich in nichts von denen anderer Eltern, deren Kind schwerkrank ist.

Im Krankenhaus hatte ich meine Tochter auf dem Arm und sie bekam einen Krampfanfall. Eine Putzfrau drückte für mich den Schwesternknopf, eine Ärztin und ein paar Schwestern kamen und sahen einfach zu, wie mein Mädchen sich quälte. Mir kam es wie eine Ewigkeit vor und ich fragte sie, warum sie nichts tun und nur zuschauen. Diese Hilflosigkeit, die ich da empfand, hätten andere liebende Mütter auch gespürt…

Aber wenn Eltern das Sorgerecht verlieren, verlieren sie auch den Status der „normalfühlenden“ Eltern. Wer der Kindesmisshandlung bezichtigt wird, dem traut man nicht zu, liebevolle Mutter und liebevoller Vater sein zu können. Deshalb schadet es auch nichts, wenn diese Eltern fortan nichts mehr über ihr Kind erfahren!

Stell Dir vor, Du bist Mutter und weißt nicht, wieviel Dein Kind wiegt, wie groß es ist, wieviel es isst, welche Einschlafrituale es gernhat, woran es Spaß hat…

Stell Dir vor, Du hast berechtigte Angst, dass Dein Kind eine bislang nicht diagnostizierte Krankheit hat und keiner beeilt sich, das Kind zu untersuchen.

Wieso auch: das Kind ist von seinen Eltern weggenommen, das reicht doch zur Sicherung des Kindes vollkommen aus.

Was, wenn Du ahnst, dass eine anstehende Behandlung Deinem Kind regelrecht gefährlich werden kann. MIT Sorgerecht könntest Du sie verhindern oder Dich erkundigen, ob es Behandlungsalternativen gibt. OHNE Sorgerecht bleibt Dir nur Hoffen und Beten!

Unser Kind ist in einer Pflegefamilie und wir wissen nicht, ob es zu uns oder zu anderen Verwandten darf. Wie geht es für das Kind weiter?

Was wird man, falls unser Kind woanders groß wird, über uns sagen? Würde unser Kind die Wahrheit über sich und uns erfahren? Wird man unserer Tochter sagen, sie sei weder gewollt noch geliebt von uns und deshalb nicht bei uns? Oder wird man ihr ehrlicherweise sagen, dass sie ein Wunschkind ist und dass wir ihr nie etwas angetan haben? Wird man sie wissen lassen, dass wir sie lieben und vermissen?

Du wirst nicht glauben, mit welchen simplen Kleinigkeiten es anfängt: wir können unserem Kind keine Bekleidung kaufen, weil die eigene Bekleidung nicht mit der der Pflegefamilie durcheinandergeraten soll. Spielzeug können wir auch nicht in dem Umfang schenken, weil wir uns vorstellen können, dass eine Pflegefamilie am Ende auch nicht erfreut ist, wenn das Kind bei einem möglichen Auszug einen Möbelwagen braucht… Und dann bist Du in einem Geschäft und siehst wunderschöne Bekleidung, die Deinem Kind wunderbar stehen würde und Du kannst diese Bekleidung nicht kaufen! Jede andere Mama würde, wenn das Geld ausreicht ab und an mal einfach spontan etwas Neues zum Anziehen oder Spielen kaufen.

Unser Kind hat ein paar Dinge, die wir ins Krankenhaus brachten mit in die Pflegefamilie genommen, aber woher sollen wir wissen, ob sie ihr dort auch zugänglich gemacht werden? Einer dieser Gegenstände ist ein extragroßes Persertuch. Bei der Einlieferung wollte ich meiner Kleinen etwas dalassen, das sie an Mama und Papa erinnert. Dieses Tuch hat unser Kind bis in die OP-Schleuse mitbekommen und auch beim Aufwachen hatte man sie damit zugedeckt. Dann haben wir ihr ein Stoffherz gebracht, das auch am Bettchen in der Geburtsklinik befestigt war. Diese beiden Dinge sind Talismane, die sie begleiten und schützen sollen. Ist sie von ihnen umgeben?

Alle Eltern sind stolz darauf, wie sich ihr Kind entwickelt und die Ärzte sind bemüht, die Eltern auch positiv zu stützen. Für unser Kind und uns gelten andere Gesetze: Unsere Tochter hat ein sehr ehrgeiziges, fröhliches Wesen. Stillstand scheint sie nicht zu erdulden! Obwohl die Ärzte in unserem Fall immer betonen, dass unser Kind wohl eher schwer geistig behindert wird, entwickelt sie sich hervorragend. Ständig untersuchen sie unser Kind auf irgendwelche Nebensächlichkeiten – nur nach dem Wichtigen schauen sie nicht. Man untersucht nicht allein um zu sehen, ob der Gesundheitszustand gleichbleibend gut ist, sondern man untersucht, ob da nicht doch „Defekte“ sind.

Wir haben uns vorgenommen, uns über alles zu freuen, was unser Kind wider Erwarten DOCH kann und wir wollen unser Kind nicht damit unter Druck setzen, indem wir Erwartungen an unser Kind stellen. Uns ist daran gelegen, dass unser Kind positiv bestärkt wird, damit es Freude daran hat, die Welt zu entdecken und sich zu entwickeln. Warum freuen sich die Ärzte und Jugendamtsmitarbeiter nicht einfach gemeinsam mit uns darüber, dass unsere Kleine schon so viel gelernt und erreicht hat?

Auch in Bezug auf das Verhalten von Kindern in Pflegefamilien finde ich auffällig, dass die Kinder scheinbar regelrecht fehlinterpretiert werden. Andere Kinder dürfen bei unangenehmen Untersuchungen weinen, unser Kind NICHT. Wagt es, bei einer Untersuchung zu weinen, bei der wir anwesend sind, wird behauptet: am Weinen sind wir schuld.

Unser Kind verhält sich absolut normal, aber das Normale will man nicht sehen. Was, wenn unser Kind irgendwann denken kann und mitbekommt, wie sein absolut normales Verhalten ständig nur mit der „Defizitbrille“ gesehen wird. Wie lange soll ein Menschenkind seelisch damit umgehen, dass man es nie so versteht, wie es selbst verstanden werden WILL?

Jede Sekunde denken wir an unser kleines Mädchen und wir möchten gern einfach das sein, was wir vor dem Tag X waren: einfach Eltern, die ihr Kind lieben und für es sorgen wollen.

Liebe unbekannte Mutter, lieber unbekannter Vater,

unsere Elternliebe unterscheidet sich in nichts von Eurer Elternliebe. Vielleicht unterscheidet sie sich ein wenig: unsere Elternliebe ist von Sehnsucht geprägt, aber unsere Elternliebe ist für unser Kind genauso wichtig, wie die Eure für Euer Kind.

Die Tatsache, dass wir zurzeit kein Sorgerecht haben, entbindet uns nicht von unserer inneren Einstellung, auch weiterhin Eltern für unser Kind sein zu wollen. Wir weigern uns, auf die Zuschauerbank verbannt zuzusehen, wie einfach so mit unserem Kind umgesprungen wird.

Teilweise wird uns ja sogar der Zugang zur „Zuschauerbank“ verweigert. Per Gesetz brauchen leibliche Eltern nach Sorgerechtsentzug nichts mehr über ihr Kind erfahren. Naja, wenn Dein Kind sterben würde, würde man wohl so „nett“ sein, es Dir zu sagen, aber man muss es Dir nicht sofort sagen…

Unserem Kind wird eine große Anzahl von Menschen vorenthalten, die es sehr lieben. Ist das gerecht? Hat ein Kind nicht das Recht, so viele Menschen wie möglich um sich zu haben, die es aufrichtig lieben?

Haben wir als Eltern nach Sorgerechtsentzug das Recht auf Menschlichkeit verloren? Ist es in Ordnung, wenn Eltern, die um das Wohlergehen ihrer Kinder besorgt sind, nicht ernst genommen werden?

Warum nennt man nicht den „Sorgerechtsentzug“ gleich „Elternschaftsentzug“? Wird doch den Eltern das entzogen, was sie als Eltern ausmacht – das Recht auf Fürsorge!

Wir können nur raten: seid dankbar dafür, dass Ihr eine Familie habt und vergesst niemals, dass es nicht selbstverständlich ist, dass Ihr Euere Kinder habt!